Welche jungen Musikerinnen und Musiker machen in diesem Jahr von sich reden? Wer steht kurz vor dem Durchbruch? Dafür wagt jetzt die Hotlist „New Music 2024“ der jungen ARD-Programme und Deutschlandfunk Nova eine Prognose. Gemeinsam präsentieren sie die wichtigsten neuen Musik-Acts aus Deutschland, bevor im Herbst dann bereits zum 17. Mal der „New Music Award“ verliehen wird.
Apsilon
Der junge Rapper aus Berlin-Moabit legt den Finger in die offenen Wunden der deutschen Gesellschaft im Dauerkrisenmodus.
Klar ist das politisch, was Apsilon da musikalisch seit gut zwei Jahren auf durchgängig hohem Niveau abliefert. Seine Tracks sind Statements in den überall schwelenden Debatten um Alltagsrassismus. Apsilon wirft hochrelevante Fragen auf, was das gesellschaftliche Mit- bzw. eher Ohneeinander von deutscher Mehrheitsgesellschaft und migrantisch geprägten Communitys angeht.
Und auch die permanenten Widersprüche in der kapitalistischen Verwertungslogik werden in seinen Texten messerscharf seziert. Denn alles hängt ja, wie wir immer wieder schmerzvoll erfahren, mit allem zusammen. Dabei wehrt sich Arda, wie Apsilon eigentlich heißt, gegen diesen Stempel des "gesellschaftskritischen Rappers".
Baby B3ns
Mit ihrem Babycore drückt das Crossover-Art-Talent im viralen Game des Pop mit traumwandlerischer Sicherheit die richtigen Knöpfe.
Wenn du jemandem, der noch nie in Berlin war, die 2023er-Vibes dieser Stadt in zwei Minuten erlebbar machen willst, dann gib ihm oder ihr einfach "Baby Blizzard" von Baby B3ns aufs Ohr. Bisschen ausgeklinkt, leicht kühl und abgehoben, aber hochgradig stylisch und verdammt ansteckend. Der Producer, dessen Y2K-infizierter Hyper-Pop-Sound von Berlin aus gerade den Rest der Republik überfahrt, firmiert unter dem Namen Replay Okay. Nachdem er im vergangenen Jahr Hotlist-Act Domiziana in die Charts pushte, verhilft er jetzt Baby B3ns zum rasanten Durchmarsch.
Bennet
Mit einem globalen Überhit im Gepäck checkt der Koblenzer DJ 2024 als next German EDM-Superstar ein.
"Schau auf deinen Weg!": Die Message des Tracks, der Bennett dank TikTok über Nacht zum DJ-Superstar machte, wird sich der 25-Jährige aus Koblenz sicher nicht zufällig gepickt haben. Tatsächlich steht der ergreifend gesungene Choral "Vois Sur Ton Chemin" aus dem französischen Kinohit "Die Kinder des Monsieur Mathieu" für Bennett metaphorisch für die, während der Corona-Pandemie erfahrenen, kollektiven Leiden. Haltet durch, lasst euch nicht kleinkriegen – so die an sich schon sehr kraftvolle Botschaft des melancholischen Chorgesangs.
Die volle Kraft entfaltet das Lied allerdings erst mit den treibenden 140 Beats per Minute. Und so ist es kein Wunder, dass der Track 2023 zur großen Dance-Sensation mutierte.
Berq
Der Hamburger löffelt eimerweise Weisheiten auf seiner erstaunlich weit fortgeschrittenen Suche nach der Essenz von Musik.
Ein Song von Berq ist nicht einfach nur ein Song. Die Lieder des 2004 geborenen Hamburgers Felix Dautzenberg lassen die Welt kurz stillstehen. Vor allem, wenn man unvorbereitet und zum ersten Mal vor der Tiefe des plötzlichen Abgrunds steht, den Berqs Musik in die Tektonik der deutschen Popszene hineinkratert. So geschehen im vergangenen Oktober, als Berq mit einer atemberaubenden Performance seines Liedes "Rote Flaggen" den sicher gehaltvollen vorherigen Wortanteil in Böhmermanns "ZDF Magazin Royale" verblassen ließ.
So viel Wucht, so viel unverdautes Gefühl hat schon lange kein deutscher Act mehr mit Musik transportiert. "Unnötig komplizierte Popmusik" – so die sympathisch-süffisante musikalische Selbstbeschreibung des charismatischen Neu-Berliners.
Blumengarten
Mit ansteckender Sympathie setzt das Indie-Duo aus Velbert dem Krisengewimmer des Pop eine radikale Positivität entgegen.
"Mama hörst du mich?! Wir haben gewonnen!" – Wow, da war Blumengarten-Sänger Rayan ja richtig emotional nach dem Gewinn des NEW MUSIC AWARDS 2023 in der Kategorie "Bester Newcomer-Act". Wobei: Emotional ist der sympathische und charismatische Frontmann des Duos aus Velbert in NRW ja eigentlich immer. Sowohl auf persönlicher Ebene, als auch in seinen unverkrampften und dadurch unvergleichlich authentischen Lyrics. Kaum ein Pop-Sänger trägt sein Herz derart auf der Zunge wie Penouel Rayan Boumsong Djima.
Damona
Die Musikerin mit Casting-Show-Vergangenheit beseitigt die letzten Zweifel an der Zeitgeistigkeit des Rock in all seinen Facetten.
Wenn es einen Beweis gebraucht hat, dass Musik zeitlos sein kann, dann hat er in Form der bemerkenswert unbekümmerten Künstlerin Damona endlich den Weg ins Rampenlicht gefunden. In ihren Songs und vor allem in ihrer Performance vereinen sich verschiedene Generationen der Rock-Geschichte: Hier trifft die exaltierte, gespielte Arroganz von Queen auf die verwegene Verletzlichkeit einer Avril Lavigne.
Das passt ganz wunderbar in eine Zeit, in der sich die Erkenntnis herumgesprochen hat, dass die musikalischen Möglichkeiten des Rock ’n’ Rolls zwar (mehr oder weniger) auserzählt sind – er aber sogar den Kids der Gen Z immer noch eine Menge zu sagen hat.
Ellice
Von der Casting-Show über TikTok direkt ins Studio eines der gefragtesten Indie-Produzenten: rasanter als bei der Berlinerin ELLICE geht es kaum.
Wenn man es mit gerade mal 15 Jahren schafft, gestandene Pop-Profis wie Lena, Wincent Weiss und Smudo von den Fanta4 gleichzeitig die Sprache zu verschlagen, dann stehen die Chancen für eine steile Karriere schon mal nicht so schlecht. Mit ihrer selbstgeschriebenen Ballade "Stummes Klavier" raubte Ellice Klawon den Stars und dem Publikum der Casting-Show "The Voice Kids" im Frühjahr 2023 den Atem.
Dass sie die Staffel am Ende knapp nicht für sich entscheiden konnte – geschenkt. In diesem Moment konnte man einen musikalischen Rohdiamanten hell erstrahlen sehen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis dieses Talent sich im großen Stile Gehör verschaffen würde.
Florentina
Die enorm talentierte Mannheimer Sängerin mit kosovarischen Wurzeln erhebt ihre kraftvolle Stimme für weibliches Self-Empowerment.
Die Relevanz von Musik zeigt sich oftmals erst in den Reaktionen darauf. Insofern hat die Mannheimer Sängerin mit ihrem Track "Sorry Mama Papa" 2023 ein ordentliches Pfund abgeliefert. In den Lyrics des Urban-Pop-Songs – produziert vom "Wildberry Lillet"-Hitlieferanten Aside – setzt Florentina ein dickes Statement für die Selbstbestimmung junger Frauen, sowohl was den eigenen Look als auch die Auswahl männlicher Partner angeht.
Das Ausmaß der Hass-Reaktionen auf Zeilen wie "Man kommt nicht in die Hölle / wenn man kurze Kleider anhat" hat Florentina via Instagram veröffentlicht. Und doch: So viel toxische Männlichkeit ist für sie nur Treibstoff für den kreativen Motor.
Jazeek
Das Aachener Stimmwunder lotet in seinem, zwischen tanzbarem R ’n’ B und Deutschrap angesiedeltem Sound die Höhen und Tiefen der Liebe aus.
Wenn einem direkt zwei der aktuell erfolgreichsten deutschen Acts überhaupt, nämlich Ayliva und Bausa einfallen, um das musikalische Spektrum von Newcomer Jazeek abzubilden, dann klingt das doch schon mal sehr vielversprechend. Der 1999 in Aachen geborene Rapper und Musiker verbindet melancholisch-romantischen Soul mit trap-infiziertem Deutsch-Rap und hat mit seinem Sound innerhalb kurzer Zeit einen Nerv getroffen.
Das liegt neben seinen tiefenentspannten und tief im R ’n’ B-verwurzelten Vibes vor allem auch an seinen Lyrics, in denen er unter anderem relatable thematisiert, welche Herausforderungen digitale Dauerverfügbarkeit für zweisame Liebe bereithält.
Jolle
Mit gesunder Distanz zum eigenen Ego wälzt Jolle mit erstaunlicher Leichtigkeit die großen Themenbrocken den Berg namens Leben hinauf.
Man muss den Macherinnen des preisgekrönten All-Female-Labels 365XX schon einen echten Riecher für relevante Newcomerinnen attestieren. Mit der Hamburgerin Jolle schielt die bisher eher rap-fokussierte Schmiede jetzt auf den großen Popwurf zwischen urbanen und ski aggu-infizierten Clubtempo-Beats. Auf ihrer bemerkenswert vielseitigen Debüt-EP "Diffus" wagt sich Jolle immer streetsmart und erstaunlich nahbar an die schwierigen Spagatthemen der krisengeplagten Gen-Z.
Levin Liam
Zwischen Hip-Hop, Soul und Indie hat sich Everybodys-Tastemaker-Darling aus Hamburg seine ganz eigene Nische eingerichtet.
Intensiv und atmosphärisch. Zerdacht und doch flirrend-leicht. Der Sound des Hamburger Indie-Rap-Artists Levin Liam sucht seinesgleichen. Selbst Miksu / Macloud, die Könige der satten Beats, fahren Levins verhuscht-sphärischer Dichte zuliebe die Produktion herunter. Zu hören auf der angenehm entschlackten, gemeinsamen EP "neue ufer", die im November 2023 erschienen ist und mit der Levin endgültig über den Status des von allen Seiten neugierig beäugten D.I.Y.-Rookies hinausgewachsen ist.
Maikel
Der unbedingte Wille, der Welt seinen Sound mitzuteilen, hat sich für den Münchner Rapper dank großem Labelsigning schon jetzt ausgezahlt.
Wenn Miksu / Macloud, die beiden Oberspürnasen für freshen Pop-Rap-Sound, dich als ersten Act für ihr Label signen, dann hast du auf jeden Fall schon mal Einiges richtig gemacht. Seit dem Sommer ist der 2001 im bayrischen Murnau geborene Maikel bei FUTURA im Boot. Die "Was für’n Beat"-Hitmaschinen, selbst im letzten Jahr auf der Hotlist vertreten, wurden bereits 2022 durch Maikels Track "Winterlove" auf den Newcomer aufmerksam.
Dessen sehr von US-Trap beeinflusster Sound und der vernebelt-broke, deutschsprachige Flow ließ nicht nur bei Miksu und Macloud bereits erahnen, dass hier ein krasses Talent dabei ist, seinen eigenen Stil zu finden und zu verfeinern. Los ging es bei dem 15-jährigen Maikel, als er mit gleichaltrigen Homies versucht, den Sound von US-Vorbildern wie Travis Scott oder Lil Uzi Vert zu kopieren und teenietypisch dazu zu freestylen.
MilleniumKid
Ein Kind des Jahrtausendwechsels verknüpft die dunkle Romantik der neuen Neuen Deutschen Welle mit clubkompatibler Beatästhetik.
Schnell ist es bei MilleniumKid gegangen: Dank Karriere-Katalysator TikTok katapultierte sich "Unendlichkeit" im Frühjahr 2023 in zuvor für Do-It-Yourself-Artists unmöglicher Geschwindigkeit in schwindelige Streaming-Regionen. Der hymnische Track zwischen ausladend-umarmendem EDM-Gestus und düsterer Synth-Wave-Romantik traf punktgenau den Zeitgeist der Gen-Z und machte den Gießener Produzenten und Songwriter über Nacht zum Next Big Thing. Seine Inspiration bezieht das MilleniumKid fast ausschließlich aus der dunklen Kälte der langen Wintermonate.
Paula Carolina
Das charismatische Vokuhila-Fangirl formuliert in ihren NDW-infizierten Indie-Pop-Songs richtige und wichtige Worte mit Haltung und klarer Kante.
Wahrscheinlich sollten viel mehr Menschen mal ein Paula-Carolina-Konzert besuchen. Man kann sich keine bessere Therapie für die vielen sozialen Wehwehchen vorstellen, die uns gesellschaftlich gerade flachliegen lassen. Zur Übergriffigkeit neigende würden dank Songs wie "Wär’s okay" viel über Empathie lernen. Selbstmitleidige würden sich durch "Offiziell glücklich" verstanden fühlen. Männer würden generell viel über Frauen lernen. Und am Ende des Abends würden alle glückselig miteinander "Schreien Schreien Schreien".
Schon bemerkenswert, wie schnell sich die gebürtige Hannoveranerin mit ihrem Indie-meets-NDW-Pop zum absoluten Konsens-Act für diskursfreudige, junge Menschen mit Hang zur Tanzwut herumgesprochen hat. So richtig kann Paula Carolina ihren Erfolg bis heute nicht fassen.
Uche Yara
Der Druck könnte höher nicht sein: auf den soulig-groovigen Neo-Grunge der Multi-Instrumentalistin Uche Yara können sich 2024 alle einigen.
Selten lag die Phrase von der "Bilderbuch-Karriere" so nah, wie bei der Neu-Berlinerin Uche Yara. Und zwar nicht nur, weil sich diese, eigentlich aus Österreich kommende Multi-Instrumentalistin, Sängerin, Produzentin und überhaupt Alleskönnerin mit gerade mal 21 Jahren einen genre-übergreifenden Signature-Sound angeeignet hat – sondern weil eben auch die Art-Pop-Lieblinge und Ösi-Landsmänner von Bilderbuch die rasante Entwicklung dieser Musikerin mit angeschoben haben. Eine Entwicklung, die sie ziemlich sicher in absehbarer Zukunft auf die fett gedruckten Slots der großen Festival-Line-Ups führen wird.
